Formeln für Maximal­ge­schwin­dig­keit in Kurven

Auf dieser Seite findest du die Formeln zur Berech­nung der maximal möglichen Ge­schwin­dig­keit in Kurven und zwar so­wohl für Schienen­fahr­zeuge als auch für Straßen­fahr­zeuge. Für Schienen­fahr­zeuge ist normaler­weise die freie Seiten­beschleu­nigung rele­vant, während für Straßen­fahr­zeuge in der Regel die Haft­reibungs­zahl zwischen Reifen und Fahr­bahn von Be­deu­tung ist.

Es werden so­wohl die exakten Formeln als auch die ver­ein­fachten Formeln ange­geben. Zudem gibt es hier Skizzen und Tabellen mit typischen Werten für die minimalen Kurven­radien und die freie Seiten­beschleu­nigung.


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Inhaltsverzeichnis

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Allgemeines

Der Faktor 3.6 am Ende der Formeln dient der Um­rechnung von m/s in km/h. Die SI-Ein­heit ist m/s, aller­dings können viele Menschen damit nicht so viel an­fangen. Des­halb ist eine Angabe in km/h meist zweck­mäßiger.

Erklärung der Variablen

In den folgenden Formeln kommen diese Variablen vor:

v: zulässige Geschwindigkeit in km/h
aq: erlaubte freie Seitenbeschleunigung in m/s²
g: Erdbeschleunigung in m/s²
µ: Haftreibungszahl
r: Radius in Gleismitte/Fahrbahnmitte in m
D: vertikaler Abstand = Überhöhung
b: horizontaler Abstand
α: Steigungswinkel der Straße bzw. Bahnstrecke in °
β: Überhöhungswinkel in °

 

Anmerkungen:

  • Die freie Seiten­beschleu­nigung aq, der Steigungs­winkel α, der Über­höhungs­winkel β und die Über­höhung D können auch negativ sein!
  • Für kleine Winkel kann man in guter Näherung cos(α) und cos(β) gleich eins setzen. Das wird auch bei den ver­ein­fachten Formeln so ge­macht.
  • Was man unter den Winkeln α und β genau ver­steht, wird im über­nächsten Abschnitt anhand von Skizzen näher aus­ge­führt.

Vereinfachte Formeln

Für viele An­wendungen sind die folgenden, ver­ein­fachten Formeln aus­reichend. Für große Über­höhungen oder steile Straßen und auch für Achter­bahnen sind die weiter unten be­find­lichen exakten Formeln zu ge­brauchen.

Seiten­beschleu­nigung relevant (Schienen­ver­kehr)

Wenn die freie Seiten­beschleu­nigung be­kannt ist, er­hält man die maxi­male Kurven­geschwin­dig­keit v mit einer Formel aus dem Gleis­bau:

$$v=\sqrt{\left (a_q+\frac{g⋅D}{b}\right)⋅r}⋅3.6$$


Formel für den Radius r:

$$r=\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2}{a_q+\frac{g⋅D}{b}}$$


Formel für die Überhöhung D:

$$D=\left[\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2}{r}-a_q\right]⋅\frac{b}{g}$$


Formel für die freie Seiten­be­schleu­ni­gung aq:

$$a_q=\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2}{r}-\frac{g⋅D}{b}$$

 

Haftreibungszahl relevant (Straßenverkehr)

Ist hingegen die Haftreibungszahl µ relevant, be­kommt man die zu­lässige Ge­schwin­dig­keit v in Kurven mit der folgenden Formel:

$$v=\sqrt{\frac{µ+sin(\beta)}{1-sin(\beta)⋅µ}⋅g⋅r}⋅3.6$$


Formel für den Radius r:

$$r=\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2}{\frac{µ+sin(\beta)}{1-sin(\beta)⋅µ}⋅g}$$


Formel für die Überhöhung D:

$$D=\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2-µ⋅g⋅r}{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2⋅µ+g⋅r}⋅b$$


Formel für die Haft­reibungs­zahl µ:

$$µ=\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2-sin(\beta)⋅g⋅r}{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2⋅sin(\beta)+g⋅r}$$

Formeln & Skizzen zur Berechnung der Winkel

Der Steigungs­winkel und auch der Über­höhungs­winkel kommen in vielen der Formeln vor, wes­halb sie hier defi­niert werden. Für Um­rech­nungen zwischen Längen und Winkeln sei auch auf meinen Steigungs­rechner hingewiesen!

Steigungswinkel α

Verläuft die Straße bzw. die Bahn­strecke eben oder nur mäßig steil, kann der Aus­druck cos(α) in allen Formeln gleich eins ge­setzt werden. Der Steigungswinkel α einer Straße oder Bahn­strecke wird wie folgt be­rechnet:

$$\alpha=arctan\left(\frac{h}{a}\right)$$

 
Wagen mit Steigungswinkel α
Wagen mit Steigungswinkel α
 
a: horizontaler (= waagrechter) Abstand
h: Höhenunterschied (= vertikaler Abstand)
l: Länge der Schrägen, also z. B. die Länge der Straße
α:

Steigungswinkel; Winkel zwischen der Fahrbahn

bzw. dem Gleis und der Horizontalen

Überhöhungswinkel β

Wagen mit Überhöhungswinkel β
Wagen mit Überhöhungswinkel β
 

Der Überhöhungswinkel β beträgt:

$$\beta=arctan\left(\frac{D}{b}\right)$$

 
D: vertikaler Abstand = Überhöhung
b: horizontaler Abstand
s: Abstand zwischen den Radaufstandspunkten
β:

Überhöhungswinkel

Hinweise für die Eisen­bahn

  • Der Abstand s beträgt für eine Normal­spur­bahn (Spurweite 1435 mm) 1500 mm. Es gilt zudem: b ≈ s. Die Regelüberhöhung D lautet 160 mm. Eine stärkere Über­höhung ist nicht zulässig, da sonst die Gefahr eines Kippens nach innen besteht, falls einmal ein Zug in der über­höhten Kurve stehen bleiben oder lang­sam fahren muss. Auch wirkt sich eine sehr große Über­höhung negativ auf den Fahr­gast­komfort aus, wenn es zum Stillstand des Zuges kommt.
  • Für eine Gartenbahn­ mit der Spur­weite 5 Zoll kann man für b und s ca. 130 mm an­nehmen. Der Gartenbahn­betrieb unter­scheidet sich vom Vor­bild: Eine Über­höhung ist wegen der geringen Geschwin­digkeit meist nicht nötig (siehe Dia­gramme weiter unten). Auf­grund der relativ engen Radien und der mitunter hohen Schwer­punkt­lage der Fahr­zeuge durch darauf sitzende Personen kann es leicht zum Kippen der Fahr­zeuge kommen. Daher em­pfiehlt es sich, die Gleise maximal 5 mm (Spur 5) zu über­höhen, wobei die freie Seiten­beschleu­nigung einen Wert von 0.5 m/s² nicht über­schreiten sollte.
  • Bei Modell­eisen­bahnen wird meist auf eine Kurven­über­höhung komplett verzichtet.

Exakte Formeln & Werte

Bei steilen Straßen und/oder bei großen Über­höhungen ist es nicht zu­lässig, den cos gleich eins zu setzen. Statt den ver­ein­fachten Formeln sind die folgenden, exakten Formeln zu ver­wenden. Neben den Formeln findest du hier auch Werte für die freie Seiten­beschleu­nigung und für Kurven­radien.

Formeln mit freier Seiten­be­schleu­nigung

Ist die zulässige freie Seiten­beschleu­nigung aq bekannt, was in der Regel auf Schienen­fahr­zeuge zutrifft, be­rechnet sich die zu­lässige Ge­schwin­dig­keit v in Kurven mit der fol­genden Formel:

$$v=\sqrt{\left (\frac{a_q+g⋅sin(\beta)⋅cos(\alpha)}{cos(\beta)}\right)⋅r}⋅3.6$$


Man kann nun die obige Formel auf getrennten Nenner bringen und dann den allgemein gültigen Zusammenhang tan(β) = sin(β)/cos(β) verwenden. Mit der Formel tan(β) = D/b bekommt man schließlich:

$$v=\sqrt{\left (\frac{a_q}{cos(\beta)}+g⋅\frac{D}{b}⋅cos(\alpha)\right)⋅r}⋅3.6$$


In der folgenden Tabelle findet man typische Werte für die zulässige freie Seiten­beschleu­nigung auf Eisen­bahn­strecken in Öster­reich:
 

Beispiel freie Seitenbeschleunigung
in m/s²
Regelwert für Neubaustrecken 0.65
Maximalwert für existierende Strecken 0.85
Straßenbahn (straßenabhängig) 1.00 *
Für Fahrzeuge mit Neigetechnik ~ 2.00

* Quelle: RIS

Vergleichswerte für den Kurvenradius (Eisenbahn)

Beispiel Minimaler Radius in m
Spurweite in mm
Straßenbahn Lissabon 9 900
Straßenbahn Graz 17.5 1435
Straßenbahn Wien 20; in Ausnahmefällen nur 18 * 1435
Badner Bahn 19.3 1435
U-Bahn Wien: U2 100 (zw. Schottentor und Rathaus) 1435
U-Bahn Wien: U4 110 (bei Landstraße) 1435
U-Bahn Wien: U6 120 (bei Tscherttegasse) 1435
Ybbstalbahn (Regelbetrieb †) 60 760
Mariazellerbahn 80 760
Mühlkreisbahn 112 1435
Gutensteinerbahn 139 1435
Semmeringbahn 190 1435

Quelle: Wikipedia

* Quelle: TU Wien, Institut für Eisenbahnwesen

Formeln mit der Haft­reibungs­zahl

Ist hingegen die Haftreibungszahl µ von Bedeutung, was eigent­lich nur bei Straßen­fahr­zeugen der Fall ist, be­rechnen sich die zu­lässige Ge­schwin­dig­keit v in Kurven und die be­nötigte Über­höhung D wie folgt:

$$v=\sqrt{\frac{cos(\beta)⋅µ+sin(\beta)}{cos(\beta)-sin(\beta)⋅µ}⋅g⋅r⋅cos(\alpha)}⋅3.6$$

$$D=\frac{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2-µ⋅g⋅r⋅cos(\alpha)}{\left(\frac{v}{3.6}\right)^2⋅µ+g⋅r⋅cos(\alpha)}⋅b$$

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Seite erstellt am 25.09.2021. Zuletzt geändert am 17.11.2021.